Klasse Job!?
Bildungsminister Martin Polaschek hat unter dem Titel „Klasse Job“ die „größte Lehrkräfteoffensive der zweiten Republik“ gestartet. Quereinsteiger:innen sollen den massiven Mangel an Lehrer:innen ausgleichen helfen. Mit einer „neuen Erzählung von Schule“ will der Bildungsminister das Image des Lehrberufs aufpolieren. Der Initiative sei Erfolg gewünscht! Ob sich die Mängel im System allein dadurch beheben lassen, darf bezweifelt werden.
Nun wird sie auch von der Politik wahrgenommen – die enorme Pensionierungswelle von Lehrer:innen: Rund 19.000 Baby-Boomer werden bis 2027 ihren Ruhestand antreten. Das ist rund ein Sechstel aller Lehrerinnen und Lehrer. Quereinsteiger:innen aus anderen Professionen sollen daher rasch das Personalloch stopfen und zugleich die Klassenzimmer ein wenig bunter machen. Nur: So einfach ist das nicht. Die Pensionierungswelle trifft ein Berufsfeld, das in den letzten Jahren deutlich an Attraktivität verloren hat. Auf diesen Umstand mit einer „Lehrkräfteoffensive“ zu reagieren ist zwar notwendig, aber unzureichend. Um zukünftig Lehrer:innen zu gewinnen und vor allem zu halten, muss sich eines ändern: die Qualität der Arbeit.
Warum eine positive Erzählung von Schule nicht reicht
Mit einer neuen und positiven Erzählung von Schule will der Bildungsminister das Image des Lehrberufs verbessern. Er hat die Devise ausgegeben, wir sollten gemeinsam an dieser neuen Erzählung arbeiten, öffentliche Kritik ist eher nicht erwünscht.
Eine positive Erzählung von Schule wird jedoch nicht reichen, um den Mangel an Lehrer:innen in den Griff zu bekommen. Statt derartiger verbaler Kosmetik bedarf es handfester Verbesserungen im Arbeitsalltag. Nötig ist vor allem eine wirkliche Entlastung und ein wertschätzender Umgang. In Zeiten des Lehrer:innenmangels wird das Betriebsklima immer wichtiger. Wo Überlastung und Stress dominieren, laufen die Lehrkräfte davon – Quereinsteiger:innen noch schneller als jene, die diesen Beruf erlernt haben. Das ist keine Schwarzmalerei, das ist Praxis: Zur Beratung melden sich Kolleg:innen, die möglichst schnell wieder aus dem Lehrberuf aussteigen wollen und Fragen zur Kündigung haben. Diese Anfragen stammen durchwegs von relativ jungen Kolleg:innen mit neuem Dienstrecht und sind ein bisher unbekanntes Phänomen. Zuvor gab es diesen Wunsch nur von schwer chronisch erkrankten Personen – meist ein paar Jahre vor dem Pensionsalter.
Ein Phänomen
Quelle: Screenshot Twitter
Der Job ist wunderbar …
Auf der Website zur Initiative „Klasse Job“ erzählt eine junge Frau in einem kurzen Video, warum sie als Quereinsteigerin unterrichten möchte. Ein Vorteil: Ihrem zweiten Job könne sie als Lehrer:in mühelos nachgehen. Soll das bedeuten, der Lehrberuf bedeutet so wenig Arbeit, dass nebenbei locker gejobbt werden kann? Welches (falsche!) Bild wird da vermittelt? Die Realität sieht doch ganz anders aus: Jede Unterrichtsstunde braucht eine gründliche Vorbereitung, ganz besonders in den ersten Dienstjahren. Danach geht uns Lehrer:innen durch den Kopf, was im Unterricht gut oder weniger gut angekommen ist. Diese Nachbereitung ist wichtig, denn hier entsteht Professionalität. Nicht nur bei Quereinstieg, sondern generell zu Beginn der Unterrichtstätigkeit – auch als ausgebildete Lehrkraft – sind diese Reflexionsphasen wesentlich. Dafür lassen wir den Jung- und Neulehrkräften viel zu wenig zeitlichen Spielraum. Hier setzt auch seit Jahren die Kritik der Lehrergewerkschaften an der Induktionsphase an: Für Reflexion und eine intensive Begleitung im Mentoring müssen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden!
So sieht das Bundesministerium den „klasse Job“ von Lehrer:innen:
„Neben der bedeutsamen Arbeit mit Kindern und jungen Erwachsenen gibt es noch andere Benefits, die der Beruf als Lehrer/in mit sich bringt:
- Zukunft gestalten: Ich unterrichte junge Menschen, vermittle ihnen Wissen, praktische Fähigkeiten und bereite sie damit auf ihre Zukunft vor.
- Freiraum: Ich habe große Freiräume und kann meinen eigenen Wirkungsbereich gestalten.
- Innovation: Ich bringe Innovation und Kreativität ins Klassenzimmer, probiere Neues aus und gestalte den Unterricht der Zukunft durch den Einsatz digitaler Medien.
- Empowerment: Ich befähige junge Menschen dazu, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen.
- Support: Ich bin persönliche und emotionale Unterstützung und mache einen relevanten Unterschied im Leben von Schüler/innen.
- Lifelong Learning: Ich kann mich laufend fortbilden und bleibe up to date in meinem Themenbereich.
- Vielfalt: Ich bilde mich laufend fort und kann mich vielfältig weiterentwickeln (Schulleitung, Mentor/in für neue Lehrer/innen, Auslandsschulen etc.).
- Teamwork-Dreamwork: Ich arbeite mit meinen Kolleg/innen zusammen und trage zur Weitentwicklung des Bildungssystems bei.
- Work-Life-Balance: Die unterrichtsfreie Zeit ermöglicht mir eine flexible Arbeitseinteilung.“
Quelle: https://klassejob.at/warum/
Ja, genau so klasse Arbeitsbedingungen hätten wir gerne! Damit sich unsere Arbeit tatsächlich dorthin entwickelt, müssen grobe Mängel behoben werden.
Klasse Arbeitsbedingungen – so geht’s: Entlastung von Aufgaben und Bürokratie
Zunächst gilt es, Lehrer:innen von nichtpädagogischen Aufgaben und überbordender Bürokratie zu befreien. Trotz gegenteiliger Beteuerungen aus dem BM:BWF nehmen die Aufgaben weiter zu. Gerade erst wurde im Zusammenhang mit der IKM plus-Testung ein neues Tool zu den „überfachlichen Kompetenzen“ verordnet. Was von Seiten des Ministeriums als wichtige Innovation gefeiert wird, bedeutet für uns Lehrkräfte weitere Zusatzarbeit. Auch die Digitalisierungsoffensive führt zu zusätzlichen Aufgaben wie etwa Mailanfragen der Eltern bei Wartungsproblemen mit den Geräten.
Diesen neuen, oft auch wichtigen Aufgaben müssen Entlastungen gegenübergestellt werden.
Gerade im sozialen Bereich oder bei psychischen Problemen sind Lehrer:innen oftmals die erste Anlaufstelle und versuchen, so gut wie möglich zu helfen. Ohne psychologische oder sozialpädagogische Ausbildung sind viele Problemstellungen eine große Herausforderung – einschlägiges Fachpersonal an jeder Schule ist dringend notwendig und wird seit vielen Jahren gefordert. Die Coronapandemie hat soziale und psychische Probleme von Schüler:innen sichtbarer gemacht bzw. weiter verstärkt. Es fehlt dringend an Unterstützung in Form multidisziplinärer Teams aus Schulpsycholog:innen und Fachpersonal aus dem Gesundheits- und Sozialbereich.
Auch das neu aufgestellte Qualitätsmanagement muss kritisch beleuchtet werden. Hier hat der Minister zentrale Vorgaben versprochen, die Gefahr von ausufernden sogenannten Qualitätsprozessen muss unbedingt gebannt werden. Vor Ort an den Schulen ist hier die Personalvertretung gefordert, dass Konferenzen und Teambesprechungen zeitlich begrenzt werden und die Kolleg:innen vor nichtpädagogischen Zusatzaufgaben bewahrt werden.
Weniger Überstunden und Anspruch auf Teilzeit
Jetzt, wo die Pensionierungswelle über das Schulsystem schwappt, weiß sich der Dienstgeber oft nur mit Überstunden zu helfen. Außerdem wird der Zugang zur Karenz gegen Entfall der Bezüge und zu Teilzeit erschwert. Doch können noch mehr Überstunden eine Lösung sein? Vielen Kolleg:innen wurden im Jahr 2022 Überstunden zugeteilt, nicht alle sind damit glücklich. Überstunden bis zu 25 Prozent der Lehrverpflichtung dürfen ohne Zustimmung einfach angeordnet werden. Was in Mangelfächern als „absolute Ausnahme“ galt, hat sich bereits in den Alltag eingeschlichen. Kurzfristig sind Überstunden vielleicht machbar, als Dauerzustand führen sie oft zu schwerer Überlastung. Nicht jede:r hat die Kraft für eine volle Lehrverpflichtung, bedeutet das doch zum Beispiel sechs Deutschklassen mit Korrekturaufgaben oder elf Klassen in Biologie und Chemie zu unterrichten. Wegen chronischer Erkrankungen können manche Kolleg:innen ihren Beruf überhaupt nur in Teilzeit ausüben.
Andere Gründe für den Wunsch nach Teilzeit sind Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, der Abschluss des Masterstudiums, lange Wegzeiten oder zivilgesellschaftliches Engagement. Deswegen brauchen wir den Anspruch auf Normalarbeitszeit sowie auf Teilzeitbeschäftigung in jenem Ausmaß, wie der oder die Lehrer:in das möchte. Zwingt man überlastete Kolleg:innen zu Mehrarbeit, sind weitere Ausfälle vorprogrammiert.
„Viele haben immer noch nicht verstanden, dass sich die Arbeitswelt geändert hat. Es reicht nicht mehr, auf seiner Website das Unternehmen in schönen Worten anzupreisen, es geht jetzt um die realen Arbeitsbedingungen, die für die jungen Arbeitnehmer entscheidend sind. Die Arbeitgeber werden sich mehr an den Bedürfnissen der Beschäftigten orientieren müssen.“
Lena Marie Glaser, „New Work“-Expertin und Autorin von „Arbeit auf Augenhöhe“
Quelle: Arbeiterkammer Tirol, Interview vom 7.11.2022
https://tirol.arbeiterkammer.at/Lena_Marie_Glaser_Interview
Eine neue Kultur des Arbeitens
Ja, ein Kulturwandel ist notwendig, um den enormen Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden. Aber nicht Lehrer:innen müssen im 21. Jahrhundert ankommen – dort sind wir längst –, sondern das Schulsystem bedarf einer grundlegenden Sanierung. Nach drei Jahren Pandemie und Zeiten massiven Personalmangels an Schulen sollten jetzt endlich wir Lehrkräfte im Mittelpunkt stehen. Dafür müssen wir selbst aktiv werden und eine neue Arbeitskultur einfordern. Eine Kultur, die Mitbestimmung am Arbeitsplatz fördert.
Eine Kultur der wertschätzenden Führung durch Vorgesetzte – davon hängt ab, ob Lehrer:innen bleiben oder in andere Schulen oder einen anderen Beruf wechseln. Eine Arbeitskultur mit Recht auf Teilzeit und auf Normalarbeitszeit ohne Ausbeutung durch Überstunden. Eine Kultur der Freiräume: Wir brauchen Freiräume im Lehrplan und damit eine Reduktion der Inhalte. Außerdem die Möglichkeit, selbst Schwerpunkte zu setzen für eine innovative Pädagogik anstelle von Teach-to-the-Test.
Um vermehrtes Burnout von Lehrer:innen abzufangen, muss das Supportpersonal massiv aufgestockt werden, nicht nur für Schüler:innen, auch wir Lehrkräfte brauchen Unterstützung durch Supervision und Coaching.
Wir leisten jeden Tag einen klasse Job. Jetzt ist es Zeit für klasse Arbeitsbedingungen.
Ursula Göltl
Dieser Artikel wurde uns von der Verfasserin Ursula Göltl zur Verfügung gestellt, sie ist stv. Vorsitzende der AHS-Gewerkschaft und in der ÖLI-ug engagiert . Ihr Text ist auch in der GÖD-AHS-Zeitschrift mit dem antiquiert klingenden Namen „Gymnasium“ 1/23 erschienen.