Stellungnahmen

Kinderarmut an Schulen?

Am Ende der Sommerferien veröffentlichte die Arbeiterkammer die Schulkostenstudie für das vergangene Schuljahr. Das Ergebnis: Ein Schuljahr kostet Familien pro Kind durchschnittlich 2.223 €.
Angesichts von Wahlkampfzeiten und intensiven öffentlichen Debatten über Kinderarmut lohnt sich ein Blick in die schulbürokratische Realität, am Beispiel der Volksschulen.
Vorweg muss gesagt werden: Öffentliche Pflichtschulen sind nicht kostenlos!

Hier ein Überblick über aktuelle Angebote:
Das Schulstartgeld
Familien aus Mindestsicherungs- oder Sozialhilfehaushalten erhalten 150 € Schulstartgeld in Form von Gutscheinen für LIBRO und PAGRO (siehe: Schulstartklar).
Dieses Schulstartgeld wird zu 90 % aus EU- und zu 10 % aus staatlichen Mitteln finanziert. 2023 waren etwa 45.000 Schüler:innen berechtigt. Eine Schultasche mit Federpenal, Bleistiften, Radiergummi, Buntstiften, Lineal und Spitzer sowie Turnsackerl kostet bei LIBRO vergünstigt 112,49 € statt 149,99 €. Da bleibt nicht viel für Hefte, individuelle Hilfsmittel, Turngewand, Hausschuhe, Jausenbox, Trinkflasche und Ähnliches übrig.


Der Warenkorb
Die Idee des Warenkorbs ist es, Hefte, Stifte, Radiergummis usw. für die gesamte Klasse zentral zu kaufen. Dieser Betrag liegt in Wiener Volksschulen aktuell bei 33 € pro Schüler:in und Schuljahr (Zuschuss für Schulmaterialien).
Ein klassisches Buchstabenschreibheft für die Volksschule (14 Blatt) kostet 5,99 € und ein einfach liniertes Schreibheft (20 Blatt) 3,20 €. Mit nur diesen zwei Heften ist bereits fast ein Drittel des Jahresbudgets pro Kind ausgeschöpft. Dabei sollen noch kreative Materialien (Buntpapier, Wasserfarben, Farbstifte usw.), Werkmaterialien (Holz, Nägel, Wolle, Häkelnadel, Hammer) oder Sportutensilien (Bälle usw.), analoge Lernspiele oder Lesebücher für die Klasse hinzukommen.

Auch Kopierpapier, Druckerpatronen und Lern-Apps für Tablets müssen aus diesem Budgetposten bezahlt werden. Bürobedarf für das Klassenzimmer (Locher, Klammermaschine usw.) muss auch daraus finanziert werden. Theoretisch müssten sogar Diensthandys aus diesem Budget bezahlt werden – das ist aber nicht realisierbar. Die Realität ist, dass fast alle Pädagog:innen in Österreich ihre privaten Telefone nutzen, um Arbeits-Apps wie Schoolfox oder Teams zu verwenden und mit Eltern oder Institutionen zu kommunizieren – und so auch ihre private Telefonnummer für dienstliche Zwecke weitergeben (müssen).
Diese Auflistung zeigt ohne große mathematische Kenntnisse, dass die enormen Anforderungen an Schulen und den Warenkorb den finanziellen Rahmenbedingungen nicht gerecht werden können. Hier springen dann, oft halb illegal, Sponsoren, der Elternverein, einzelne Elternteile oder die Lehrer:innen selbst als Dauersponsor:innen ein.

Die Schulbuchaktion
Die Schulbuchaktion wird über den Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) finanziert und ist laut ihrer Website mit 125 Millionen Euro dotiert (Schulbuchaktion).
Volksschulkinder erhalten konkret 60 € pro Schuljahr für Schulbücher und therapeutisches Material. Einzelne Bücher kosten zwischen 5 und 12 €. Ein Set, z.B. für die individuelle Förderung in Deutsch, schöpft oft das gesamte Budget aus (siehe: Westermann). Besonders heikel wird es, wenn Klassen therapeutisches Material benötigen – dies ist bei fast allen Klassen der Fall. Die Kosten für sensorische Fördermaterialien, sozial-emotionale Unterstützung usw. können schnell mehrere hundert Euro betragen, die ebenfalls aus diesem Budget gedeckt werden müssen.


Die Ganztagsbetreuung
Wer glaubt, die Ganztagsbetreuung koste für alle gleich viel, hat vergessen, dass wir in Österreich sind. Auch hier gibt es unterschiedliche Modelle. In der „verschränkten Form“ der Ganztagsschule wechseln Lern-, Bewegungs- und Ruhephasen den ganzen Tag hindurch. In Wien ist dieses Angebot für Familien kostenlos.
Die zweite Form ist die „Ganztagsbetreuung“, die meist an den Schulstandorten angeboten wird. Hier endet der Unterricht mittags, und am Nachmittag gibt es Betreuung, Lernzeit, Mittagessen und Bewegung. Diese Form kostet pro Kind und Tag 7,20 € (Ermäßigungen sind möglich, erfordern jedoch einiges an Bürokratie). Mindestens drei Tage pro Woche müssen gebucht werden. Das ergibt mindestens 21,60 € bis 36 € pro Woche – das entspricht monatlichen Kosten von 86,40 € bis 144 € pro Kind. Das Mittagessen ist mittlerweile kostenlos.


Forderungen an die zukünftige Bundesregierung, die Bundesländer und Gemeinden
Diese Unterstützungsmaßnahmen sind wichtig, um Kinderarmut zu lindern und jedem Kind den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Doch sowohl die Praxis als auch die Schulkostenstudie zeigen, dass die Kosten enorm und der bürokratische Aufwand unnötig hoch ist. Hier braucht es Reformen für zeitgemäße Unterstützung für alle Beteiligten.


Das Schulstartgeld müsste vor allem für Schulanfänger:innen erheblich angehoben werden. Eine Schultasche schöpft das gesamte Budget aus. Für die folgenden Jahre könnten 150 € als Basissockel genügen, allerdings sollten diese Beträge regelmäßig an die Inflation angepasst werden. Die Anspruchsberechtigung – derzeit auf Mindestsicherungs- oder Sozialhilfehaushalte beschränkt – müsste deutlich ausgeweitet werden, etwa durch die Einführung eines Einkommensdeckels pro Kind, um auch erwerbstätige Alleinerziehende zu unterstützen.


Der Warenkorb hat sich über die Jahre zu einem Sammelsurium an zu bestellenden Materialien entwickelt, die für einen modernen Schulalltag notwendig sind – von Tablets über Drucker bis hin zu Bastelmaterialien. Hier braucht es eine klare Trennung zwischen Materialien für die Schüler:innen, Büromaterialien und Infrastruktur, die von der Arbeitgebeber:in gestellt werden müssen. Außerdem sollte ein Zusatzbudget für Lehrkräfte bereitgestellt werden, damit z.B. Junglehrer:innen die nötigen Utensilien für den Start ihre administrative Arbeit anschaffen können. Schulen sollten mit funktionsfähigen Geräten ausgestattet werden, die von ausgebildetem Fachpersonal gewartet werden, statt diese Aufgaben den Lehrer:innen zu überlassen.


Die Schulbuchaktion ist eine großartige Errungenschaft aus der Kreisky-Ära, aber auch hier besteht Reformbedarf. Es braucht ein höheres Budget, insbesondere für therapeutisches Material und individuelle Schwerpunkte. Die Administration ist ebenfalls veraltet: Pädagog:innen müssen sich durch endlose Excel-Listen kämpfen und Bestellnummern manuell auf Zettel schreiben, die dann von mehreren Personen geprüft und abgestempelt werden, bevor eine Bestellung aufgegeben werden kann. Eine moderne, digitale Lösung, wie sie heute in jedem Online-Shop üblich ist, wäre hier mehr als angebracht.


Fazit
Es gibt viele gute und gut angenommene Angebote, und wir können wohl behaupten, dass es jedem Kind möglich ist, die Schule zu besuchen. Dennoch sind meiner Ansicht nach alle Bereiche reif für eine zeitgemäße Reform.
Die Vorteile liegen auf der Hand um Kinderarmut zu bekämpfen und den Lehrberuf attraktiver zu machen:
* Familien direkt und aus einem Guss entlasten
* Weniger Bürokratie bedeutet mehr Zeit für das Wesentliche
* Moderne Arbeitsplätze und -abläufe entlasten die Pädagog:innen direkt und Eltern und Kinder indirekt
* Digitale Abläufe, z.B. bei der Schulbuchaktion, sollten endlich auf den Stand der Zeit gebracht werden


Die apfl-ÖLI-UG fordert eine weitgehende Reform bei der Finanzierung von Lehr- und Lernmittel, Schulbuchaktion, Warenkorb, eine Infrastrukturoffensive im digitalen und analogen Bereich und zeitgemäße Maßnahmen, um Kinderarmut in der Schule zu bekämpfen!

Bernhard Lahner, Sonderpädagoge

arbeitet in einer Klasse im sozial-emotionalen Bereich in Wien