Rezensionen

Jan Mohnhaupt: Von Spinnen und Menschen – Eine verwobene Beziehung

Jan Mohnhaupt, studierter Historiker und freier Journalist, beschäftigt sich seit einigen Jahren mit Tieren. In seinem 2017 erschienen Buch „Der Zoo der Anderen“ thematisiert er das „Wettrüsten“ der Tiergärten in West- und Ostberlin während des Kalten Krieges. Im 2020 publizierten Buch „Tiere im Nationalsozialismus“ stehen die Tiere der NS-Ideologie im Zentrum. In seinem aktuellen Buch fokussiert der Autor auf die Beziehung von Spinnen und Menschen.


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Zu Spinnen hat jede:r eine Meinung und eigene Erfahrung. Die menschliche emotionale Beziehung zu diesen Wesen umfasst das Spektrum, von Ekel über Bewunderung bis zu Angst, das sich in Sprache, Alltag, Träumen, Kunst und Politik zeigt. Anders ist die Haltung zu Spinnen bei den Mapuche in Chile. Ihre Kultur beruft sich auf die mütterliche Urspinne llalliñkushe, die ihnen das Weben beigebracht hat.


Es gibt mehrere Theorien, woher die Spinnenangst kommt. Nachweisbar ist der kulturelle und religiös Aspekt in christlich geprägten Ländern, wo die stärkste Abneigung gegen Spinnen dokumentiert ist. Das Resümee des Autors lautet: „Je „zivilisierter“ sich eine Kultur gibt, je weiter sie sich von der Natur entfernt hat, desto spinnenfeindlicher ist sie meistens auch.“ (https://www.hanser-literaturverlage.de/beitrag/5-fragen-an-jan-mohnhaupt-b-563)

Zu Beginn erfahren die Leser:innen von der wenigen wochenalten Vogelspinne, die der Autor als vierzehnjähriger bei einer Tierbörse erhielt und mit der er über zwanzig Jahre lebte. Er beobachtete ihre Entwicklung und auch deren Tod, der das Zusammenleben beendete. „Trotz der langen Zeit, die sie bei mir lebte, war unsere Beziehung nie besonders innig, geschweige denn gegenseitig. Von einem Austausch wie mit anderen Heimtieren — ob Hunden, Katzen, Vögeln oder auch Fischen — kann keine Rede sein. Trotz ihrer acht Augen konnte sie nur schlecht sehen, bestenfalls Umrisse erkennen, und auch nur dann, wenn die Lichtverhältnisse günstig waren. Dennoch bemerkte sie mich. Spürte jeden Luftzug meiner Stimme und jede Erschütterung durch meine Schritte.“ (Seite 11) Seine Spinnenzuneigung erklärt er mit: „Dies vollkommen Andere und Fremde war es wohl, das mich von Beginn an begeisterte.“ (Seite 12)

Interessant sind die Fakten über die Nützlichkeit der Spinnen und deren erstaunliche Eigenschaften. Weltweit gibt es über 50.000 Spinnenarten. Ein Spinnenbiss ist für Menschen nur von wenigen relevant und dort, wo dies der Fall ist, werden Spinnen vergöttert oder gegessen.
Mohnhaupt verweist darauf, dass Spinnen immer Wildtiere blieben und bleiben werden, denn es gibt nirgendwo Anzeichen einer Domestikation. Spinnennetze inspirierten Menschen für ihr eigenes Bauen und Denken. Nervensysteme und kosmische Galaxien werden mit Spinnennetzen assoziiert. Spinnennetze wurden auch zur Heilung bei Wunden, Fieber und Malaria verwendet.
Wo Menschen sind, leben auch Spinnen. Nicht alle Spinnen bauen Netze, doch alle Spinnen, wie bereits ihr Name Araneae, Webspinnen, bereits zeigt, spinnen. Was mir gänzlich neu war, ist das Faktum, dass wir Menschen ohne Spinnen an den Massen von Insekten ersticken würden.
Mohnhaupt strukturiert seinen Text in acht Kapitel: Nähe, Werk, Leib, Sprache, Angst, Heim, Lust und Mutter. Im Kapitel „Lust, Arachnes Töchter“ thematisiert er die Spinne als Drohbild des Patriarchats und die Evolution eines feministischen Tiers. Er setzt sich somit mit Gender und Macht auseinander, wenn er von Spinnen in Mythen und Erzählungen schreibt. „Geschichten über ´Spinnenfrauen` stammen meist von Männern. Die Spinnen erfüllen darin oft die Rolle eines Drohbildes. Sie sollen die Frauen zu Tugendhaftigkeit anhalten und die patriarchalen Strukturen festigen.“ (S 162) und zitiert Frauen wie u.a. Simone de Beauvoir, Louise Bourgeois, Elfriede Jelinek.

Dieses engagiert, interessant und flüssig geschriebene Buch zu lesen, erweitert sowohl das bisherige Spinnenwissen als auch das persönliche Spektrum der eigenen Spinnenbeziehung. Es bleibt jeder:jedem selbst überlassen, in welchem Tempo und in welcher Intensität diese Annäherung geschieht.

Jan Mohnhaupts Von Spinnen und Menschen – Eine verwobene Beziehung ist ein Buch, das ich als wirklich lesens- und empfehlenswert für alle betrachte.

März 2025
Rezension
Ilse M. Seifried,
https://www.i-m-seifried.at

249 Seiten
Hanser Verlag 2024
ISBN 978-3-446-28092-2
€ 16,99