Mit Ilse M. Seifried bin ich seit Jahrzehnten verbunden. Über einen losen Faden, weil sie schon für den Verein EfEU tätig war als ich Anfang der 90er-Jahre dazustieß. Wir haben uns seitdem nicht aus den Augen verloren und so wunderte es mich nicht, dass Ilse, von der ich zum ersten Mal den Unterschied zwischen einem Labyrinth und einem Irrgarten erzählt bekommen hatte, ein Buch über Labyrinthe veröffentlicht hat. Ebenso wenig erstaunte mich, dass sie, die sie ein Studium in Gender Studies abgeschlossen hat, dieses Buch statt einer Dissertation schrieb. Ich denke, dass ihr das mehr Freiheiten bot – so konnte sie Wissenschaftlichkeit mit ihrer Art zu schreiben, zu fühlen und zu denken verbinden. Oder, wie sie selbst schreibt: „Mein Schreiben würde durch keine institutionellen Grenzen eingeengt.“ (S. 7) Als Forschungszugang wählte Ilse ein phänomenologisches Vorgehen, wobei sie den Zusammenhängen zwischen Form und Inhalt des Labyrinths, zwischen Symbol und Erfahrung auf die Spur kommen wollte. Als Forschungsfrage formulierte sie: „Wie hängen Phänomene nichtlinearer Bewegung mit nichtlinearem Denken zusammen?“ (S. 15)
Nach über 150 Seiten, in denen Ilse über das Denken, über Gender, über das Lernen reflektiert und dem Phänomen Labyrinth auf unterschiedlichste Art und Weise begegnet (über seine Geschichte, seine Strukturaspekte) findet sie folgende Antwort auf ihre Forschungsfrage: „Das Labyrinth, das einen nich tlinearen Weg in sich birgt, regt an und unterstützt nichtlinear zu denken, indem Menschen diesem Weg folgen und so eine Sache / ein Thema aus einer 360°-Perspektive sehen, erfahren und bedenken (können). Das ermöglicht, aus festgefahrenen Situationen heraus und somit in Bewegung zukommen.“ (S. 170)
Ich kann nur dazu einladen, sich auf die LABYRINTHISCHE FREIHEIT einzulassen, durch das Buch zu wandeln, Sprache und Inhalt zu genießen, zu schauen, welche Teile etwas zum Schwingen bringen, welche Teile ratlos zurücklassen, wo der Weg hinführt, welche Assoziationen auftauchen.
Beeindruckt haben mich auch die Formprinzipien des Ur-Labyrinths, die Labyrinth-Zeichnungen inklusive Konstruktionsanleitung, die Tabelle am Ende, die Phänomenen der nicht-lineare Bewegung im Labyrinth jene des nicht-linearen Denkens gegenüberstellt und die Bibliographie, die nicht nur zeigt, wie intensiv sich Ilse dem Thema gewidmet hat, sondern auch einlädt, sich weiter mit dem Phänomen Labyrinth zu beschäftigen.
Zusätzlich schätze ich an der Arbeit sehr, dass Ilse darüber reflektiert, wo die eigenen Grenzen beim Schreiben liegen, welchen Zugang sie warum nicht gewählt hat, warum sie sich (nur) auf Autor:innen des westlichen Kulturkreises [kleine Anmerkung: ein Begriff, der in der Ethnologie kritisch reflektiert wird, RT] bezieht / beziehen kann, warum sie während ihrer Forschungstätigkeit kein Labyrinth betrat, welche Fragen es noch zustellen gäbe, und dass sie eine inklusive Schreibweise verwendet.
Schließen möchte ich mit einem Satz, der mich sehr angesprochen, neugierig gemacht und motiviert hat, mich bei nächster Gelegenheit in ein Labyrinth zu begeben: „Das Labyrinth gibt kein Glücksversprechen ab, es schenkt Wandlungs-Erfahrungen; jedem Menschen andere.“ (S. 163)
Dezember 2023, Renate Tanzberger
Renate Tanzberger: Obfrau des queer-feministischen Bildungsvereins EfEU (www.efeu.or.at).
Sie hätte gerne mehr Zeit für Wandlungs-Erfahrungen und zum Reflektieren und sie fände einen Faden der Ariadne immer wieder hilfreich (auch, wenn sie dank Ilse weiß, dass dieser nur im Irrgarten, aber nicht im Labyrinth nötig ist).
Ilse M.Seifried, Buchschmiede Verlag, 212 Seiten, 2023, 978-3-99152-081-8
Wir haben Ilses Buch schon im Oktober als Lesetipp vorgestellt: https://www.apflug.at/lesetipp-ilse-m-seifried-labyrinthische-freiheit-die-kunst-zu-wandeln-das-labyrinth-symbol-und-erfahrung/