Rezensionen

Emilia Roig: Das Ende der Ehe – Für eine Revolution der Liebe

Emilia Roig wuchs in einer algerisch-jüdisch-karibischen Familie in Frankreich auf, promovierte in Politikwissenschaft, studierte Internationales Recht und setzt sich mit vielerlei Aktivitäten (siehe https://www.emiliaroig.com)

seit vielen Jahren für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und ein Leben frei von systemischer Unterdrückung für alle ein. Sie will Menschen inspirieren, sich der Unterdrückungssystemen bewusst zu werden, sich davon zu lösen und neue Narrative zu schaffen. 2022 wurde sie als „Most Influential Woman of the Year“ im Rahmen des Impact of Diversity Prize gewählt. Sie gilt als Expertin für Intersektionalität, Vielfalt, Gleichberechtigung, Inklusion und Antidiskriminierung.

​In ihrem aktuellen Buch Das Ende der Ehe – Für eine Revolution der Liebeanalysiert siedie Ehe als patriarchales Konstrukt, die bürgerliche Kernfamilie als unantastbar und Inbegriff romantisierter und mythisch verklärter Liebe, obwohl tatsächlich eine Heirat für Frauen meist zu finanzieller Abhängigkeit führt. Welche Glaubenssätze wirken? Was will nicht angeschaut werden, weil Ängste dies verhindern? Als Lösung sieht die Autorin eine Revolution der Liebe.
Allem voran stellt sie das Zitat von bell hooks: „Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Liebe.“ Den Prolog beginnt sie mit den Worten: „Der Tag meiner Hochzeit war einer der schönsten Tage meines Lebens.“ Und beendet diesen mit der Frage: „Aber ist die Ehe wirklich normal?“
Stilistisch engagiert und dennoch unaufdringlich gelingt es ihr, nachvollziehbar die ungleichen Machtverhältnisse detailreich und genau aufzuzeigen. Umfangreich sind ihre Quellenangaben und regen an, sich thematisch zu vertiefen.
Die Frage, ob die Ehe an sich zum Nachteil ist, wo Eheverträge immer alltäglicher werden und es an beiden Personen liegt, ob sie sich einigen, wie Macht und Arbeit unter ihnen ab dem ersten Tag gerecht aufgeteilt werden, steht also zur Diskussion. Ehe kann möglicherweise gelingen, wenn Frauen nicht „aus Liebe“ alles für ihren Mann machen und Männer Frauen nicht als Wesen betrachten, die ihnen gegenüber selbstlos zu sein haben. Manche Menschen wünschen sich eine verbindliche Beziehung, die Sicherheit und Planbarkeit gibt, obwohl Leben nicht planbar ist, weil es immer wieder unerwartete Wendungen nimmt. Was kann also „Revolution der Liebe“ bedeutet? Selbstvertrauen und Selbstsicherheit zu stärken, Analysefähigkeit zu entwickeln, wo und wie institutionelle Kräfte am Werk sind, die persönliche Freiheit und Gerechtigkeit verhindern. Um ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, müssen wohl alle ihren Teil dazu beitragen und das ist ein langer Prozess. Emilia Roig sieht die Lösung im gänzlichen Loslassen der Ehe. Trigger-Warnungen sind vor manchen Abschnitten wie beim Kapitel Penetration angegeben.
Dieses Buch ist gut dazu geeignet, in der Oberstufe persönliche Lebenspläne, Ziele, und institutionelle Rahmenbedingungen zu thematisieren und zu diskutieren, damit Schüler:innen über die Herausforderungen und Gefahren der Ehe Bescheid wissen. Historisch entwickelte gesellschaftliche Machtstrukturen, Gegebenheiten und Veränderungspotentiale werden so bewusst und damit veränderbar.
Das komplexe Thema ist sehr gut strukturiert und ermöglicht so, wenngleich sie natürlich zusammenhängen, sich auch nur einem der 14 Kapitel zu widmen.
Eine Empfehlung für den Geschichts- und Psychologieunterricht.

März 2023
Rezension
Ilse M. Seifried, MA
https://www.i-m-seifried.at

284 Seiten, gebunden
Ullstein 2023
Preis: € 24,50, E-Book: € 18,99
ISBN: 978-3-550-20228-5