Ella Al-Shamahi ist Paläoanthropologin und Evolutionsbiologin. Sie wurde um 1984 geboren und wuchs in Birmingham auf. Ihre Vorfahren stammen aus dem Jemen und Syrien. Sie arbeitet für den National Geographic und ist spezialisiert auf Neandertaler. In ihrem TED-Vortrag beschreibt Al-Shamahi ihre Erkundungsexpedition nach Sokotra, einer jemenitischen Insel. Als Moderatorin und Produzentin hat sie ihre eigene Wissenschaftssendung bei BBC und viele andere Projekte, wo sie u.a. auch die am stärksten bedrohten Ökosysteme des Planeten dokumentiert. Dass Ella Al-Shamah auch Komikerin ist, sie stand mehrmals auf der Bühne des renommierten Edinburgh Fringe Festivals, ist ein Glücksfall für alle Leser:innen ihres Buches, denn so gelingt es ihr, Wissenschaft zugänglicher zu machen. Wer sie im 40-minütigen Dialog über ihr Buch sprechen hören möchte, hier ist der Link: https://www.youtube.com/watch?v=qjYu9n_PbrM Auch ihr Podcast „Why Do We Do That?“ https://www.bbc.co.uk/programmes/m001dgrp ist empfehlenswert.
Doch nun zu ihrem Buch. Zum Thema gibt es im deutschen Sprachraum bisher bereits viele Publikationen. Ob die Dissertation 2020 von Anna Helena Zissler: Handschlag, Umarmung oder Wangenkuss? Eine Feldforschung über Irritationen bei Begrüßungen in einer Berliner Wohngemeinschaftoder jene von 1853 Gruß und Handschlag von Rudolf Dulon, von Hans Eberhard Mayer: Eid und Handschlag bei den Kreuzfahrerkönigen von Jerusalemund von Barbara Toths als Buch erschienen Dissertation Der Handschlag: die Affäre Frischenschlager – Reder 2017.
Es gibt viele Blickwinkel und Aspekte und esgibt verschiedene Thesen, welche Funktion ein Handschlag ursprünglich gehabt haben könnte: Die geöffnete Handfläche zeigte, dass keine Waffe getragen wurde, das Schütteln sollten die möglicherweise im Ärmel versteckte Waffen herausschütteln. Ein Handschlag kann, wie die COVID-19-Pandemie 2020 zeigte, wegen möglicher Ansteckung, auch gefährlich sein. Er wurde durch andere Gesten ersetzt. In Indien gibt es eine hygienische Begrüßungsgeste. Welche Zukunft wird der Handschlag haben? Doch welche Vergangenheit hat er nachweislich? Die Autorin kam zu dem Schluss, dass „dem Handschlag eine reiche und faszinierende Geschichte innewohnt, die nicht offen und für alle sichtbar auf der Hand liegt. Denn ich halte ihn nicht nur für ein rein kulturelles Phänomen, sondern für ein biologisches, das in unsere DNA einprogrammiert ist. Die wahren Ursprünge des Handschlags reichen weit hinter die Antike zurück. Wahrscheinlich liegen sie so weit in der Vorgeschichte, dass sie sogar älter sind als unsere Spezies. Unsere engsten lebenden Verwandten, die Schimpansen, schütteln sich häufig die Hände. (Oder vielmehr die Finger, was viele positive Funktionen hat, unter anderem ein Versöhnungsangebot.) All das deutet darauf hin, dass die Praxis des Händeschüttelns wahrscheinlich begann, noch ehe sich unsere beiden Spezies auseinanderentwickelten – und zwar vor erstaunlichen sieben Millionen Jahren.“
Der Handschlag ist mehr als eine Begrüßungsgeste, er ist auch eine Berührungseinheit wie eine Umarmung oder ein Kuss und gehört somit zur menschlichen Interaktion. Ella Al-Shamahi meint: „Vielleicht existieren wir Menschen immer in diesem Spannungsfeld zwischen unserem Bedürfnis nach Berührung und unserer Angst vor Ansteckung.“ Denn auch nach dessen Verbot in Zeiten der Pest und Spanischer Grippe kehrten Menschen immer wieder zum Handschlag zurück. Daher ist dieses Buch „kein Nachruf, sondern eine Enthüllungsbiografie, welche die Rätsel und Wendungen der Geschichte des Handschlags aus den Blickwinkeln von Anthropologie, kultureller Vielfalt, Religion, Geschichte, Soziologie, Biologie, Psychologie, Archäologie, Gender und Politik betrachtet.“
Mit dem Blick in die Vergangenheit zeigen sich vielfältigste Aspekte des Handschlags: „Unsere prähistorischen Vorfahren hinterließen ihre Handabdrücke an Höhlenwänden, als wollten sie uns durch die Zeiten hindurch die Hand reichen. Die alten Griechen gaben sich auf dem Schlachtfeld die Hände, und im antiken Rom wurden Ehen mit einem Handschlag besiegelt. Der diplomatische Handschlag beeinflusste die Schicksale von Millionen, ob er nun im antiken Mesopotamien oder auf dem Rasen vor dem Weißen Haus getätigt wurde, und er erlebte sowohl die Geburt der Demokratie als auch deren Aufstieg im Westen viele Jahrhunderte später. Kolonialismus und Globalisierung haben festgelegt, welche Art Handschlag wir benutzen (und Variationen gab und gibt es einige, unter anderem einen »Penis-Handschlag«). In seiner Geschichte wimmelt es nur so von berüchtigten Abfuhren, Tabubrüchen, exzentrischen Experimenten und nationalem Stolz.“
Die Autorin vermengt Fakten wie z.B. dass vor ca. 3000 Jahren der erste diplomatische Handschlag im alten Mesopotamien in Stein gemeiselt worden war, mit persönlich Erlebten, wie zum Beispiel der Erkenntnis, dass es Unterschiede gibt zwischen Händeschütteln und Händchenhalten. Sie erzählt, wie sie früher als strenggläubige Muslima mit dem Handschlag umging und was ihr diese nun in der Zeit danach bedeutet. Somit gelingt es Ella Al-Shamahi, viele Perspektiven und umfangreiche Einblicke in dieses interessante Thema „Handschlag“ zu geben.
Strukturiert ist das Buch in die Kapitel: Prolog / die Entstehungsgeschichte: Woher kommt der Handschlag? / Symbolik: Was bedeutet der Handschlag? / Fingerschnippen und Penis-Handschlag: Begrüßung, kulturelle Vielfalt, Hände und Druck / Schritt für Schritt zum perfekten Handschlag: eine Anleitung / Die Hand der Hoffnung: die besten Handschläge der Geschichte / Die Hand des Unheils: die schlechtesten Handschläge der Geschichte / Niedergang: Ist dies das Ende des Handschlags? / Epilog.
Stilistisch ist der Text einfach geschrieben und spannend zu lesen. Er regt an, sich darüber auszutauschen, weiter zu reflektieren und auch zu diskutieren.
Dieses Buch kann ich als geeignete Grundlage eines interdisziplinären Klassen- oder auch Schulprojekts, einer Buchvorstellung in der Oberstufe und allen am Thema Interessierten empfehlen.
Juni 2023
Rezension
Ilse M. Seifried, MA
https://www.i-m-seifried.at
Übersetzung aus dem Engl. Von Violeta Topalova
Gebunden, 192 Seiten
Harpercollins 2023
ISBN 978-3-365-00245-2
€ 21,50
e-Book € 19,99
