
Die Autorin Chloe Dalton ist politische Beraterin und Expertin für Außenpolitik. Sie wuchs als Tochter eines Diplomaten in Omar, Iran, Lybien und Israle auf und studierte Englische Literatur und Geschichte in Oxford. auf. Während der Covd-Zeit lebte sie auf dem Land, wo sie ein Hasenjunges aufzog und damit eine intensive Naturverbundenheit entwickelte. Seitdem lebt sie abwechselnd in London und auf dem Land.
Abb. https://www.klett-cotta.de/produkt/chloe-dalton-hase-und-ich-9783608966381-t-8966#
Ihren Prolog beginnt sie mit den Worten: „Der Januar war eisig kalt. Die Temperatur fiel etliche Male unter Null. Im neuen Jahr kam der erste Schnee, danach schneite es fast pausenlos weiter, bis Mitte Februar ein kurzes Tauwetter die Schneeglöckchen freilegte, die bereits ihre Spitzen durch das durchnässte Gras schoben. Wenige Tage später lagen sie unter einer frischen Schneedecke. Die Bäume standen weißgefroren unter einem Mantel aus verwehten Flocken, vereiste Spinnennetze hingen in den Hecken wie erstarrte Fadenspiele.“ So führt die Dalton ihre Leser:innen entschleunigt, poetisch und stimmig in die wahre und außergewöhnliche Begegnungs- und Beziehungsgeschichte zwischen ihr und einem Hasen.
Sie findet einen handflächengroßen Jungfeldhasen. „Er verfügte über keinerlei Deckung, Bussarde kreisen am Himmel über ihn und klagten wie verlorene Seelen.“ Dalton versucht ihn artgerecht aufzuziehen. Sie hat weder Erfahrungen noch Kenntnisse und weiß nicht wirklich, worauf sie sich einlässt. Ihr Ziel ist es, den Hasen, wenn er dazu bereit ist, wieder in die Wildnis zu entlassen. Bis dahin lebt der Hase frei in ihrem Haus und Garten. Wir erfahren, wie schwierig es ist, Informationen zur Aufzucht statt zur Jagd eines Hasen zu finden. Immer reflektiert Dalton ihr eigenes Verhalten. „Doch ein Name würde bedeuten, den kleinen Hasen zum Haustier zu erklären, was ihm meiner Meinung nach etwas nehmen würde.“
Das Miteinander bestimmt der Hase, der Vertrauen fasst. Die Autorin widersteht, den Hasen zu zähmen oder ihn auch nur zu streicheln, richtet sich nach dessen Rhythmen und beobachtet alles sehr genau. „Der Hals war in einem sehr zarten Grau gehalten, das an erkaltete Asche erinnerte, und das Fell wuchs dort kürzer und weicher, als an irgendeiner anderen Stelle seines Körpers.“
Sie stellt umfangreiche Recherchen an, die sie passend einfügt. Und so erfahren Leser:innen unter anderem, dass in Großbritannien der Feldhase das einzige Wildtier ist, für das keine Schonzeit gilt. Im Vergleich zu Kaninchen wurde der Feldhase nie domestiziert. „Ein voll ausgewachsener Lepus europaeus kann zwei Meter hoch und fast drei Meter weit springen, außerdem wurde beobachtet, dass er in der Lage ist, einen Kilometer weit in offenen Gewässern zu schwimmen.“ Mythen berichten über Michabo, den Großen Hasen, der eine entscheidende Rollen bei der Welt- und Menschenerschaffung spielte. In ägyptischen Grabstätten wurden hasenköpfige Wesen an Wände gemalt. Vielleicht liegt es an der Superfetation, dass Hasen, die Beutetiere sind, sehr ambivalente Bedeutungen zugeschrieben werden.
Die Autorin gliedert den ersten Teil des Buches in Ein Winterkind / Erste Bande / Vier Wochen alt: kleiner Hase / Hase ohne Namen / Mai-Tage: die Hasen-Hexe / Unabhängigkeit / Vier Monate alt: Aktionsräume und August: Hochsommersorgen. Im zweiten Teil haben die Kapitel die Überschriften Klein war gestern / Ultimativer Vertrauensbeweis / Zwei Jahre alt: Staunen / Häschen / Ein Schlag aus heiterem Himmel / Blutige Ernte und Geheime Wege. Die anschließende Auswahlbibliographie umfasst fast ausschließlich englische Titel.
Dieser außergewöhnliche Text holt aus dem Alltag, bringt zum Nachdenken über zivilisierte Natur und Wildnis, die eigene Beziehung zu Tieren und das moderne Leben. Dies alles allerdings nicht über abstrakte Theorien, sondern detailreiche Beschreibungen, die nie langweilig werden und berührende Momente. „Was er nicht leiden konnte, waren Hummeln, nasse Steine und Pfützen.“ Vom Erscheinungsbild her unterscheiden sich weibliche Hasen nicht von männlichen. Erst als Junghasen zur Welt kommen weiß Dalton, dass ihr Hase eine Häsin ist und ab diesem Moment wird sie auch als solche bezeichnet.
Das Leben mit der Häsin verändert das Leben der Autorin. Überzeugungen und Prioritäten verändern sich. „Da fühlte ich plötzlich eine ungeahnte, viel intensivere Verbindung zu der Tierwelt, die mich umgab, und fragte mich, wie viel vom Wesen der Tiere an uns vorübergeht, weil wir in unserer Wahrnehmung und Beobachtungsgabe so beschränkt sind.“ Wirtschaftliche Effizienz und Raubbau, soviel ist am Ende klar, müssen neu überdacht und Alternativen entwickelt werden. Glücklicherweise gibt es bereits viele.
Dieses Buch von Chloe Dalton eignet sich nicht nur zu Ostern, sondern kann jederzeit und immer gelesen werden. Es ist weder ausschweifend noch umständlich, weder langatmig noch langweilig, eigentlich ist es sehr reduziert und stilistisch klar und empathisch. „Hase und ich“ ist eine wirkliche Bereicherung und kann zu sich selbst führen, was allen zu empfehlen ist.
Aus dem Englischen: Claudia Amor
Illustrationen: Denise Nestor
304 Seiten
Klett-Cotta 2025
ISBN 978-3-608-96638-1
€ 23,95
e-book EAN 9783608123982 € 17.99
April 2025
Rezension
Ilse M. Seifried, MA
https://www.i-m-seifried.at