Obwohl das Buch bereits vor drei Jahren publiziert wurde, fiel mein Blick erst jetzt darauf. In ihm sind 15 Perspektiven auf Bilder und Vorstellungen von Männlichkeit vereint, die von analytisch-abstrakt bis biografisch-persönlich reichen. Ziel ist, die Dualität von Privat und Öffentlich aufzulösen indem die Wechselwirkungen und Zusammenhänge aufgezeigt werden sowie Wege aus offensichtlichen und subtilen Machtstrukturen für ein gutes Zusammenleben aller zu finden.
Abb.: https://unrast-verlag.de/produkt/vom-scheitern-zweifeln-und-aendern/
Das Buch ist in die drei Teile Scheitern / Zweifeln / Ändern strukturiert. Exemplarische Titel von Beiträgen: Herumreflektieren reicht nicht / Wie, du trinkst nicht? / Gewaltbetroffenheit und Privilegien / Sprachlosigkeit – Vom Streiten und Nicht-Streiten mit / Keine Sondertörtchen für Männlichkeit! / Anti-patriarchale Lockerungsübungen – Ein Dialog zwischen zwei Aktiven der Theatergruppe Masculinities Lab (Berlin). Den Abschluss bilden das Glossar und ein Verzeichnis der Autor*innen und Beteiligten.
Der Sammelband wurde von zwei Personen herausgegeben: Blu Doppe ist als freiberufliche:r Bildungsreferent:in und Trainer:in im Bereich Antidiskriminierung, Sensiblisierung und Radical Diversity tätig. Mehr ist auf https://www.queertopia.de/ nachzulesen. Daniel Holtermann ist freie:r Bildungsreferent:in mit den Arbeitsschwerpunkten geschlechterreflektierte Pädagogik und kritische Männlichkeitsforschung in Praxis, Theorie und Forschung und assoziiert mit Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V. in Berlin.
Sie schreiben im Vorwort: „Es wird von der ›Verunsicherung des Mannes‹ oder der Männlichkeit geschrieben und sich nach ›Traditionellem‹ und ›Stabilität‹ gesehnt. Gleichzeitig nehmen die vielfältigen Darstellungen und Lebensweisen von Männlichkeiten, die durch → feministische, queere, antirassistische und andere emanzipative Bewegungen und Errungenschaften erst möglich geworden sind, zu. Es kommt zum gleichzeitigen Zerren und Streben – vor- und rückwärts. (…) Als Herausgebende haben wir nach Antworten auf diese Fragen gesucht und diesen Sammelband zusammengestellt. Dabei wollen wir aufzeigen, welche Möglichkeiten und Fallstricke es geben kann, wenn sich (cis) Männer, alleine oder kollektiv, mehr oder weniger kritisch mit Männlichkeiten beschäftigen. (…) Es handelt sich also um eine Suchbewegung, die fragend voranschreitet und die »im Zweifel für den Zweifel« ist, die also Männlichkeiten niemals als etwas Selbstzufriedenes, in Stein Gemeißeltes versteht oder zu dem vermeintlich ›Ursprünglichen‹ und ›Guten‹ zurück will, die das Unabgeschlossene, das Uneindeutige und die damit verbundenen Widersprüchlichkeiten wertschätzt.“ Die Textauswahl bietet unterschiedliche Blickrichtungen und Positionierungen, allerdings wurden bewusst keine Artikel, die sich explizit mit rechten bzw. rechtsextremen Männern oder Strukturen sowie mit den Themen Behinderung, Religion, materialistischer Feminismus, Alter, Täterschaft aus einer cis-männlichen Perspektive und der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt beschäftigen, aufgenommen.
Währen des Lesens und danach ist klar, wie wichtig die persönliche Auseinandersetzung mit der Problematik ist, um alte Mechanismen zu erkennen und abzulegen und der Frage nachzugehen, womit und warum die Abgrenzung zur Weiblichkeit konstruiert wird und wie dem Kreislauf der eigenen Täterschaft zu entkommen ist. Die Zusammenhänge von traditioneller Männlichkeit mit Alkoholkonsum, Depression, Erfahrungen sexueller und sexualisierter Gewalt zu verstehen, lässt erkennen: Was ist zu verlieren und was zu gewinnen, wenn das eigene Bild und das anderer Menschen aktiv verändert wird. Die Aufhebung bestehender Hierarchien zwischen Frauen, Lesben inter*, nicht-binäre und trans* Personen.
Für cis Männer scheint oft keine Motivation vorzuliegen, sich kritisch mit Männlichkeiten auseinanderzusetzen, daher ist dieses Buch ein guter Impuls dafür. Jedoch empfehle ich es nicht als Einstieg, sondern zur Vertiefung ins Thema.
Juli 2024
Rezension
Ilse M. Seifried, MA
https://www.i-m-seifried.at
272 Seiten
Unrat Verlag 2021
€ 18,90
ISBN: 978-3-89771-083-2